Nach Hause. Das ist mein Ziel und dafür habe ich mir die Elbe als Begleitung ausgesucht. Und es scheint, als sei sie auch ein Symbol – die Schönheit und Harmonie in der Natur, die dramatische Geschichte, die sich im „Grenzgebiet Elbe“ abgespielt hat, der Fluss als verbindendes und trennendes Element. Hier kann ich ehemalige Grenztürme besteigen, durch Bundesländer hüpfen und auf Brücken zwischen „Ost“ und „West“ wechseln. Und es gibt zahlreiche Geschichten, die von der Vergangenheit erzählen.
Aber was bringt die Gegenwart? Zum Beispiel eine Gastgeberin, die für mich in Wittenberge Unterkunft, Abendessen und Frühstück organisiert hat, weil ich es nicht mehr weitere 55 km bis zu ihr geschafft habe. „Sie übernachten im Hotel „Zur Elbaue“, essen im „Theaterkeller“ zu Abend und frühstücken bei „Bäcker Erfert“, sagte sie mir am Telefon. Sie hatte halb Wittenberge angerufen und die jeweiligen Inhaber gebeten, mich kostenlos zu versorgen. Das machte mich sprachlos.
Wieder ein Erlebnis im Koffer, das mir etwas sagen will.
Das Projekt Wandermärchen ist noch lange nicht vorbei und doch spüre ich, dass diese letzte Wegstrecke vor der Winterpause besonders ist. Seit Mai bin ich unterwegs, radel rastlos von Ort zu Ort, habe maximal kleine Inseln der Ruhe genossen und wusste doch immer, dass ich nach ein paar Tagen alles wieder einpacke – und weiter gehts. Das hat nun vorerst ein Ende.
Ich habe unterwegs keine Zeit, meine Erlebnisse Revue passieren zu lassen, meine Tage sind gefüllt mit langen Strecken, spannenden Begegnungen und den letzten Auftritten. Mein gelber Koffer ist voll und ich bin voller Wehmut.
Obwohl ich weiß: es ist goldrichtig jetzt in das Winterquartier zu ziehen, ab in mein Nest. Pause. Aufladen.
Und trotzdem ist da eine Unruhe in mir – ich habe schon davon gehört, sie soll wohl viele Langzeit-Reisende befallen, diese Angst vor dem „Danach“.
Wie umgehen mit all dem, was man erlebt hat? Wie verarbeiten? Was verändern? Die Themen, die ich mir im wahrsten Sinne des Wortes auf die Fahne geschrieben habe, sind groß: Identität, Grenzen, Zusammenhalt, Schicksale, Vergangenheit, Zukunft, Lebenswirklichkeiten und Träume. All diesen Themen bin ich begegnet, habe so viel erfahren und erlebt, Menschen getroffen, Publikum gewonnen, Dichter befragt – aber am Ende lande ich doch immer: bei mir.
Und war das nicht von Anfang an das Ziel?
Zum Glück ist diese Reise noch nicht zu Ende. Ich bin ja noch mittendrin. Das sage ich mir, während ich Kilometer für Kilometer meiner Wohnung näher komme: Erstmal ankommen, liebe Anna Magdalena. Dann siehst Du weiter.
Momentan scheint es mir, als sei Ankommen schwerer als Aufbrechen.
Der Weg ist wenigstens klar: Immer am Fluss entlang…
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Liebe Anna,
wenn ich das alles lese ,glaube ich, das das Stage- Diving mit Dir durch unser Land klappt und darüber freue ich mich unendlich.
Ich kann Dir nicht sagen warum – aber auch ich fühle mich getragen!
Meine Gedanken sind oft bei Dir, ruh Dich nun gut aus, sortiere, entsorge was dich belastet, nimm das was Dich trägt und mach weiter.
Ich freue mich auf die nächsten Etappen..
Ich hoffe es gibt viiiiel Platz in HH am 11. Mai.
Eine gute gemütliche Winterzeit!
Herzlichst Barbara
Liebe Anna-Magdalena, haben Sie herzlichen Dank für all das, was Sie uns Daheimgebliebenen von Ihren Eindrücken und Wahrnehmungen zu dieser Reise mitgeteilt haben. Es war geteilt und ich habe viel Liebe zwischen den Worten, Zeilen und Etappen gespürt. Eine Liebe zum Leben, zu den Menschen am Weg und vor allem zu unserem gemeinsamen Heimatland Deutschland. Seit ich vor drei Jahren testweise (in Bezug auf die Rückkehr in mein Heimatland) nach Österreich gezogen bin, gelang es mir besser, die deutsche Geschichte, die für mich immer bedrückend war, in einen kleinen Frieden zu bringen, es gelang mir besser, die Eigenarten meines Völkchens lächelnd statt beengend zu nehmen und es gelang vor allem, den Wunsch nach Rückkehr wieder zuzulassen. Nichts Konkretes momentan, aber dennoch fühlbar.
Was ich Ihnen aber sagen wollte: ich stelle mir mein Leben als große Reise vor (von wo und nach wo, naja, Sie wissen schon, das drückt jeder anders aus) und somit sind die Reisen innerhalb des Lebens so etwas wie Tagesausflüge, die helfen, den Alltag von außen zu sehen und den Trott aus Trott zu ‚begreifen‘. Was für mich folgte, war, da genügend Zeit vorhanden war, alles, was ich gedanklich erreichen kann, quasi von der ungewohnten Seite zu betrachten und damit auch in Frage zu stellen. Es gibt Menschen, die finden das so extrem, dass der Kontakt abgebrochen ist, sozusagen im Guten. Ich empfinde mein Leben nun als das Geschenk, als das es wohl gemeint ist, denn wenn ich nach D besuchsweise zurückkehre, verlässt mich gottlob diese Sichtweise nicht mehr, die Wahrnehmung für die Soße, in der wir gewohnheitsmäßig zu stecken lieben, ist beständig vorhanden. Welch ein Glück! Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen eine angenehme Winterpause und göttliche Eingebungen für die Verarbeitung alles Erlebten herzlich Monika-Ulrika Cossé aus Krakaudorf in der Steirischen Krakau