Tage, Wochen, Monate habe ich auf den gestrigen Tag hingearbeitet. Was mit einer Idee begann und nach Freiheit und  Abenteuer schmeckte wurde zu einem Projekt, das mich die letzten Wochen bis spät in die Nacht an den Schreibtisch gefesselt hat. So viele Formalien galt es zu organisieren, zu bedenken, zu erfüllen.  So viele Menschen galt es zu begeistern und einzuspannen.

Und dann kam da gestern dieser Moment – das Team vom NDR sagte: „So, also wir könnten jetzt.“ Meine Freunde waren zahlreich, treu und gutgelaunt erschienen, hatten entspannt gefrühstückt und sich auch bereitwillig vor der Kamera zu meinem Vorhaben geäußert. Überwiegend wohlwollend, wenn ich richtig gelauscht habe. Nun sollte ich also abfahren, sie würden winken, das Filmteam filmen, die Aufgaben waren klar verteilt.

Ich habe es nicht nur gedacht, ich habe es auch gesagt: „Das schaffe ich nicht!“ Schon fast Nachmittag, noch über 70 Kilometer nach Elmshorn, strömender Regen und ich fühlte nur Erschöpfung. Meine Freunde standen sofort parat: Musst Du auch nicht, komm wieder, schlaf Dich aus, fahr morgen, nimm den Zug, wem willst Du was beweisen, für mich musst Du das nicht tun, ich fahr Dich. Wahre Freunde eben.

Ich habe auf mein abgezogenes Bett geschaut, mein breites, warmes Bett, Geborgenheit in Holz gegossen. Und habe zum Telefonhörer gegriffen.

Die Stimme am anderen Ende sagte: Morgen wird es nicht besser. Heute wird es nicht leicht, aber morgen wird es schwerer. Sie sagte nicht „Fahr jetzt los“. Aber ich habe es trotzdem gehört.

Ich habe auf das Bett geschaut. Und es sah auf eimal nicht mehr wie ein Nest aus, sondern wie ein Versteck. Ich sah mich darin hocken, das Kameralicht aus, alle Freunde weg, meine Klamotten schon auf dem Dachboden. Es fühlte sich traurig an, mit einem bitteren Beigeschmack des Versagens.
Nein, dachte ich. Zugegeben, es ist anders, als Du es Dir vorgestellt hast. Grauer Himmel, müde Beine, Augenringe und Gegenwind statt fliegen so frei wie ein Vogel, getragen vom Aufwind, der Sonne entgegen. Aber nichts auf dieser Reise wird so, wie Du es Dir vorstellst. Das ist ja das Gute daran. Wenn Du jetzt hier bleibst, dann hat der Schreibtisch Dich bezwungen.
Ich fahre! sagte ich laut. Und spürte in mir genau das Quentchen Kraft, das ich brauchte um mich auf den Sattel zu schwingen.

Und als ich dann ein paar Kilometer in die Pedale getreten hatte, als der Regen mir in die Schuhe kroch, als es immer dunkler wurde und Elmshorn nicht bedeutend näher kam, als ich müder und müder wurde, da wuchs die Kraft. Mit jedem Kilometer gewann ich meine Idee zurück: meine Reiselust, meine Freiheit, mein Ziel.

Ich bin ihr so dankbar und schäme mich gleichzeitig: mit 33 Jahren muss mich immer noch meine Mutter aus dem Nest schmeißen. Danke Mama. Ich fliege!

 

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