Auf den Brettern stehen, die die Welt bedeuten. Welch eine romantische Umschreibung, welche Sehnsucht, welche Verheißung steckt in diesen Zeilen.
Die Bühne kann das einlösen. Auf einer Bühne stehen, Scheinwerfer im Gesicht, ein Vorhang – all das kann die Welt bedeuten.
Seit der textouren-Gründung versuche ich, diesen Zauber der Bühne ins Leben zu holen – Rezitation und Theater vor urbaner Kulisse, bei Regen und Wind. Und nun, mit dem Wandermärchen, verlege ich die Bühne ins private Umfeld, in das Wohnzimmer. Beides geht gut, erfordert aber Kompromisse.
Es ist nicht einfach, ohne die Hilfe von Dunkelheit, Scheinwerferlicht und Stille Konzentration zu erzeugen. Wenn ich im öffentlichen Raum auftrete oder unter freiem Himmel, dann muss ich doppelt so viel Kraft einsetzen. Und kann nur noch halb so nuanciert rezitieren, denn am Ende nutzt ja alles nichts, mein Publikum muss mich ohne Anstrengung verstehen können. Ich habe diese Kraft jahrelang gerne eingesetzt und Gedichte unter dem Motto „Literatur in Bewegung“ an die frische Luft gebracht. Weg von dem staubtrockenem Image des hohen Anspruchs und der Langeweile, gefördert durch jahrelange Gedichtinterpretation in der Schule. Denn die Rezitation hat das nicht verdient.
Nun stehe ich aber vor einer Herausforderung, die mich immer wieder an Grenzen führt. Ich möchte die Rezitation auch auf die Bühne bringen. Das hat sie verdient. Es ist eine Kunstform mit einem hohen Unterhaltungswert. Rezitation kann fesselnd sein, witzig, lebendig, weise. Den Satz, den ich nach Auftritten am allermeisten zu hören bekomme, ist: „Das habe ich nicht erwartet!“ Und genau das ist mein Problem.
Immer wieder steht da ein Lesesessel, wenn ich zu meinem Auftritt komme. Für das Rezitieren ist ein Lesesessel eher ungeeignet. Ich bin inzwischen geübt und bastele aus Wohnzimmerlampen und vorhandenem Mobiliar in Windeseile eine Bühne. Und ich erwarte wirklich nicht, dass jedermann weiß, dass mein Programm keine Lesung ist. Aber ich bin doch etwas ratlos. Denn immer wieder wünschen sich Menschen, dass ich in einem besonderem Rahmen rezitiere, dass ich ihren Kindern zum Einschlafen vorlese, dass ich beim Gartenfest auftrete, im Café, in der Kneipe, im Kindergarten oder der Grundschule, auf dem Kindergeburtstag, auf dem örtlichen Bazar, vor dem Geschäft, im Seniorenheim. Rezitation scheint für jeden Anlass passend zu sein, was ich auch verstehen kann, schließlich gibt es für jeden Anlass die passende Literatur. Und ich trete auch wirklich gerne zu besonderen Anlässen auf, nicht gegen Kost und Logis, aber wenn sich jemand zum Beispiel auf seiner Hochzeit Liebesgedichte wünscht, dann kann er mich buchen.
Aber nicht mit meinem Bühnenprogramm. Denn das ist eben genau dafür gemacht; für die Bühne. Aber auch hier lauern Schwierigkeiten: „Literarisches Kabarett“ untertitele ich mein Programm „Bin ich Deutschland?“. Und mir ist bewusst, dass dieser Begriff nicht passt. Aber ich finde keinen passenderen. Zumindest nicht, wenn ich vermitteln möchte, dass die Zuschauer Spaß haben werden, dass sie unterhalten werden, dass die Literatur, die Themen sie berühren können und werden.
Auch die Veranstalter muss ich überzeugen – auf der Kulturbörse in Freiburg wurde ich zwei Veranstalterinnen vorgestellt und die sagten: „Nein, das ist nichts für uns, wir suchen etwas Lustiges“. „Aber das ist lustig!“, habe ich fast geschrien, eher verzweifelt als locker-sympathisch, wie sich das auf so einer Messe gehört. Ich mag es nicht, die Wirkung von dem zu beschreiben, was ich auf der Bühne mache. Was weiß ich denn, wie es beim Anderen wirkt. Und mein Programm hat wohl mehr Tiefgang als ein „lustiges Kabarett“. Die Leute lachen oft, halten sich aber nicht ständig die Bäuche. Trotzdem: es hat sich noch kein Zuschauer zwischen 18 und 68 Jahren furchtbar gelangweilt; das wüsste ich. Ich habe nämlich Angst davor und beobachte das genau. Von der Bühne aus.
Im Gegenteil, ich bekomme so oft zu hören, dass es ein toller Abend war und das gerade, weil das Programm Hochstimmung und Tiefgang hat. Weil ich mit der Regisseurin Annette Uhlen an beiden Programmen, auch an dem Kofferprogramm für den privaten Rahmen, lange gefeilt habe. Weil ich nicht einfach ein Gedicht nach dem anderen spreche, sondern einer Dramaturgie folge. Weil ich zwischendurch erzähle, Bilder zeige, interagiere, Witze reiße. Und am Ende bleiben doch die Gedichte hängen.
Der Zuspruch tut gut. Das macht Hoffnung!
Bis ich dann in den nächsten Ort komme, wo schon der Lesesessel auf mich wartet.
Und Deutschland ist groß.
Helfen Sie mir!
Wer es gesehen hat – das Kofferprogramm oder das Bühnenprogramm – haben Sie ein Wort dafür, was ich auf der Bühne mache? Können Sie die Wirkung beschreiben? In einem kleinen Text oder noch besser in einem kurzen Video? Ich weiß, Videos drehen ist nicht für jeden ein Spaß aber ich bastele gerade Bildmaterial für Veranstalter und es wäre großartig, wenn das Publikum dort auch zu Wort kommt. Sagen Sie mir in einem kurzen Videogruß, warum die Rezitation auf die Bühne gehört. Oder das Projekt Wandermärchen. Sofern Sie das finden, selbstverständlich.
Holen wir die Rezitation aus dem gemütlichen Lesesessel auf die Bretter, die die Welt bedeuten!
DANKE!
Ihre
Anna Magdalena Bössen
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Liebe Anna Magdalena, leider kann ich Ihnen kein Video liefern mit meinem Eindruck von Ihrem Kofferprogramm in Testorf. Ich kann Ihnen nur sagen, was mir dazu einfällt. Das ist etwas ungeordnet. Ich finde es herrlich, daß Sie sich der Literatur im allgemeinen und dem Gedicht im besonderen annehmen. Es hat mich animiert wieder einmal in den „Ewigen Brunnen“ zu schauen. Es sind die z.T. alt vertrauten Worte oder Gefühle, die sich einem dann wieder erschließen. Leider gibt es dafür wohl kein griffiges Wort oder Wendung, die Sie für Ihr Programm verwenden könnten. Es war eine große Bereicherung, und so haben es auch alle empfunden, die Sie erlebt haben. Ich empfinde es als großen „Luxus“ nicht mal schnell, schnell Kultur zu konsumieren sondern auf sich einwirken lassen. Ich glaube, das ist das Besondere an Sie und Ihrem Tun. Es war eine große Freude Sie zu erleben. Danke.
Dorothy v. Hülsen