Eigentlich passen Mensch und Natur ganz hervorragend zueinander – auf meiner Fahrt entlang des Neckars, hinauf in den Hochschwarzwald zum Titisee und hinunter nach Freiburg habe ich so wunderschöne Fleckchen Erde gesehen, dass es mich versöhnlich gestimmt hat mit den Anstrengungen der Reise. Kleine Flüsschen, sanfte Täler, hohe Berge, verwunschene Waldlichtungen, riesige Bäume, weite Ebenen – wer die Natur beschreiben will, muss poetisch werden. Es ist, als sei die Natur in ihrer erhabenen Schönheit dem Menschen weit überlegen.

Aber es ist nicht nur schön, da draußen unterwegs zu sein. Die letzten Tage hatte ich ununterbrochen Gegenwind. Nach den drückend-schwülen Tagen ist so eine Brise eigentlich eine sehr willkommene Erfrischung, aber dieser Wind hat sich so entschieden gegen mich gestemmt, dass es mir schon fast wie ein persönlicher Angriff vorkam.
Trotzdem, ich kann es ihm nicht übelnehmen. Er ist Teil der Natur, und dass diese aus dem Gleichgewicht geraten ist, erfahre ich auf dem Rad jeden Tag am eigenen Körper.

Und wir Menschen? Ich kämpfe auch um mein Gleichgewicht, versuche meine Kräfte gut einzuteilen. Es gelingt mir im Moment wieder ganz gut, auch durch die Unterstützung, die ich von allen Seiten erfahre:

Da ist das Theater Kabirinett, das meinen Auftritt durch den Förderverein finanziell unterstützt.

Da ist das Ärztepaar in Heidelberg, das mich kurzerhand einlädt in ihrem Gästeloft zu pausieren und mir in der Praxis eine Massage verordnet.

Da ist der Fotograf Michael Obert, der stundenlang mit mir unterwegs ist und Fotos für mich und das Projekt schießt.

Da sind Freunde aus Studienzeiten, die ihre ganze Familie aktivieren, damit ich Publikum habe.

Da ist mein Freund Conrad, der für ein paar Tage vorbeikommt, den gelben Koffer auf sein Rad schnallt und mit mir die Berge hochackert.

Da ist mein großer Bruder, der mir eine Stange Geld überweist, damit ich mich in ein Hotel einquartieren kann.

Da ist das Forum 3 in Stuttgart, in dem ich früher als Kellnerin gearbeitet habe und das mir von jetzt auf gleich einen Raum für meinen Auftritt zur Verfügung stellt.

Da ist der junge Mountainbiker, der extra morgens nochmal in die Jugendherberge kommt, um mir zu sagen, welchen Waldweg ich am besten runter nach Freiburg nehmen soll (statt dem lauten Höllental).

Da ist der Mann mit den weißen Haaren und traurigen Augen, der bewegungslos am Baum sitzt, gerade als ich denke, nun habe ich mich vollends im Wald verirrt und werde nie wieder Menschen sehen. Auf seinen Knien liegt ein Gewehr und obwohl wir beide wissen, dass nach meinem Gepolter den Hang hinunter jedes Wild das Weite gesucht hat, erklärt er mir geduldig den Weg zurück in die Zivilisation.

Sie alle unterstützen meinen Weg. An sie alle werde ich mich erinnern, wann immer ich an diese Reise denke. An mein Publikum, meine Gastgeber, die Veranstalter, die Reisegefährten.

Und an die Natur. Ich werde immer Sehnsucht haben nach einem Leben, in dem ich der Natur nah bin. Sie berührt mich, beruhigt mich, stimmt mich versöhnlich.

Warum ich sage, dass Mensch und Natur hervorragend zueinander passen? Je länger ich darüber nachdenke, desto unsinniger kommt mir das vor. Es ist richtig und doch falsch. Wir Menschen sind Natur, brauchen Natur, können ohne sie nicht leben. Aber die Natur braucht uns nicht. Zumindest kann sie uns im Moment nicht brauchen.
Je weniger Menschen, desto idyllischer ist die Umgebung, desto harmonischer wird alles. Und ich kann Luft holen, komme zur Ruhe. Eigentlich absurd. Denn ich bin damit ja nicht alleine, viele suchen im Urlaub und auf Reisen die Erholung von unserer Spezies und von dem nervenaufreibenden Alltag, den wir uns erschaffen haben und aus dem wir keinen wirklichen Ausweg finden.

Also suchen wir Abgeschiedenheit, Harmonie und Natur. Und wissen genau, dass unsere „Auszeit“ nicht lange vorhält. Dass wir eigentlich unseren Alltag ändern müssten. Denn nicht die paar Wochen Urlaub im Jahr sind entscheidend, sondern die anderen 11 Monate. Und auch ich merke immer deutlicher, dass nicht die 12 Monate meiner Reise entscheidend sind, sondern meine Jahre danach. Was ich mitnehme. Oder besser: Was ich zurückgebe. Den Menschen, die mich unterstützen und der Natur. Denn ohne sie wäre ich nichts.

Möge es mir gelingen!

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