Mein früheres Lieblingsbuch, so im Alter zwischen 12 und 16 Jahren, schätze ich, war die Möwe Jonathan von Richard Bach.  Jonathan ist eine besondere Möwe, die immerzu an die Kunst des Fliegens denkt und nur selten  an Futter, weshalb sie schließlich aus dem Schwarm ausgestoßen wird, durch Höhen und Tiefen fliegt und am Ende in jeder Hinsicht aufsteigt. Zum Glück. Eine  schöne, philosophische und märchenhafte Geschichte über höhere Ziele im Leben.

Ich sitze in Friedrichstadt, einem kleinen Ort nahe der Nordseeküste. Man nennt das Städtchen auch „Klein Amsterdam“ weil es überall Kanäle und Grachten gibt. Hier bin ich gestern aufgetreten und möchte nun etwas zu Atem kommen, bevor ich weiter fliege. Aber ich brauche WLAN. Ich muss dringend Mails beantworten, die Route planen, Überweisungen machen. Nachdem ich vergeblich in der Touristeninfo, im Jugendzentrum und in einem Restaurant vorstellig wurde, sitze ich nun, eingedeckt mit einem Riesenstück Rhabarberkuchen und einem Zugangscode, in der Lobby eines Hotels. Nun muss sich nur noch die Seite öffnen, auf der ich mich dann endlich in die weite Welt einloggen kann. Das tut sie aber nicht, kein Zugang.

Friedrichstadt leidet unter einer Krähenplage. Die schwarzen Vögel sitzen in allen Bäumen, machen einen Mordsradau und man weiß sich hier nicht zu helfen. Schießt man mit Platzpatronen auf sie, fliegen sie auf, hört man auf zu schießen, setzen sie sich wieder hin. Es heißt, diese Vögel sind einfach zu schlau um sie zu verjagen. Sie geben der ganzen Urlaubsatmosphäre einen morbiden Beiklang, so als stünde die ganze Stadt unter einer Krähen-Belagerung.

 

Inzwischen habe ich tatsächlich WLAN und kann meinen Blog füttern. Aber was will ich eigentlich sagen?

Ich möchte wie die Möwe Jonathan sein. Ich möchte an die Kernfragen des Lebens kommen und mich in der Kunst des Fliegens üben. Aber ohne WLAN werde ich zu einer Krähe. Innerhalb von Sekunden. Die modernen Zeiten belagern mich, besetzen mich und machen Lärm wie ein Schwarm schwarzer Vögel in meinem Kopf.

Wann kommt das Schiffchen, das mich aufs offene Meer trägt?

[slideshow_deploy id=’1130’]

 

Gehört:

Ich habe mir darüber noch kein Urteil gebildet, nur Vorurteile.

Heimat trägt man in sich, die kann man doch gar nicht verlieren.

Im Rastplatz-Kiosk: Ich brauche dringend etwas zu Essen.
Antwort: So sehen Sie aber gar nicht aus.

 

Verloren:

meine Sonnenbrille mit Stärke

meine Radlerbuchse mit Verstärkung (wurde mir nachgefahren, DANKE!)

 

Gelernt:

die Dorfbevölkerung im Norden ist eher pragmatisch, was die Straßenbenennung angeht. Die Hauptstraßen heißen Hauptstraße.

 

Datensammlung:

7 Übernachtungen bei 6 Gastgebern

6 Auftritte in 6 Orten

342 Kilometer

 6,124 total views,  1 views today