Das eilende Schiff, es kommt durch die Wogen
wie Sturmwind geflogen

Voll Jubel ertönt`s vom Mast und vom Kiele
„Wir nahen dem Ziele!“

Der Fährmann am Steuer spricht traurig und leise
„Wir segeln im Kreise“
Marie von Ebner-Eschenbach

Ich bin im Moment wohl beides – Mannschaft und Steuermann. Während ich durch ein bisschen Schnee und viel Regen radle und Bekanntschaft mit den deutschen Mittelgebirgen mache (Rhön, Kasseler Berge und Harz) kann ich es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Viel schlafen, wenig reden und den ganzen Kleiderschrank voller sauberer Klamotten, das scheint mir gerade das Paradies zu sein. Und ich weiß gleichzeitig, dass es natürlich anders kommen wird. Wahrscheinlich werde ich es nach kurzer Zeit schon vermissen, die Natur, die Begegnungen und das Leben aus den Satteltaschen. Und nein, ich bin ja noch lange nicht am Ziele, selbst wenn ich am kommenden Samstag in den Heimathafen am Deich einlaufe.

Das bekam ich auch gestern Abend zu spüren, bei meinem Auftritt in Goslar: „Wie ist der Schwerpunkt Ihres Buches, die Struktur, die Hauptaussage?“ wurde ich immer wieder gefragt. „Kommt noch, kommt bald“, versicherte ich. Mag sein, dass es daran lag, dass im Publikum ein paar interessierte Lehrer saßen, aber eigentlich begegnet mir diese Frage nach der Essenz meiner Reise überall.

Das Verhältnis zu unserem Land ist durch die Flüchtlingssituation im Umbruch und auf einmal ist die Frage nach der deutschen Identität unübersehbar wichtig. Sie ist keine Gedankenspielerei, keine graue Theorie. Wir suchen nach unserer Wurzel, um einen Standpunkt zu finden, wie wir auf diese rasanten Entwicklungen, die uns und unser Land verändern werden, reagieren sollen. Und bei meinen Auftritten wird heiß diskutiert. Viel heißer, als ich das von meinem sonst eher rational denkenden Publikum kenne.

Welche Werte haben wir, welche Kultur, was macht uns aus? Gibt es das überhaupt, dieses große UNS, und wenn ja, ist es verletzbar, angreifbar oder stabil? Müssen wir dieses UNS schützen oder können wir es einfach ausweiten, vergrößern? Wie groß können wir es ziehen, ohne dass es sich auflöst?

All diese Fragen bewegen mich und anscheinend inzwischen viele mit mir. Ich habe immer eine große Unsicherheit wahrgenommen bei der Thematisierung unsrer deutschen Identität. Diese Unsicherheit tritt nun zu Tage und ins Bewusstsein. Ich höre ungestellte Fragen im Raum: „Und, Frau Bössen, Sie wissen es doch jetzt: Wer sind wir?“ und dahinter verborgen, nicht an mich gerichtet aber unausgesprochen hörbar: „Was ist zu tun?“

Wenn ich eines erfahren habe über meine Landsleute, dann das: eine unüberlegte Antwort darauf wird uns Dichtern und Denkern nicht gerecht. Und wir müssen sie gemeinsam finden.

Mein gelber Koffer platzt fast vor Erlebnissen und Gedanken, die mir alle mitgegeben wurden, durch diese Reise, durch die Gespräche, durch jeden Kilometer. Und das alles will nun gesichtet, sortiert und zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Damit auch etwas Ordentliches dabei herauskommt! ( ;

Und keine Fahrt im Kreis.

 

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