Es tut mir leid,

was ich alles nicht wusste über Dich, Osten. Und euch, die Menschen im Osten. Allein, dass es diesen Begriff noch gibt, die „Ostdeutschen“ und der sich scheinbar von den „Westdeutschen“ absetzt, ist ein Trauerspiel.  Natürlich seid ihr anders, aber alle sind anders.

Hier im Osten, in Dresden, habe ich die Elbe wiedergetroffen. Der Fluß, der mich nach Hamburg geholt hat, der die Hauptrolle in meinen textouren spielt, der mich seit über 10 Jahren begleitet, an dessen Ufer ich die Idee zum Wandermärchen hatte – da stand ich plötzlich wieder vor ihm. Schmaler, aber die gleichen Farben, der gleiche Geruch. Ja, ich habe meine Elbe wiedererkannt.  Und mich so gefreut, dass ich gleich an ihrem Ufer bis tief ins Elbsandsteingebirge gefahren bin. Am liebsten wäre ich auch noch bis an ihre Quelle geradelt. Kommt noch.

Was auch immer für Grenzen wir im Kopf und in der Politik haben, in der Natur gibt es sie nicht. Und ich baue sie auf meiner Etappe OSTEN Stück für Stück ab. Zum Glück.

Heute, am Tag der deutschen Einheit, muss ich gestehen: es tut mir leid. Ich hatte 25 Jahre Zeit, diese Seite von meinem Land kennenzulernen und habe mich bisher mit Medienberichten und Kurzbesuchen begnügt.

Daher wusste ich vieles nicht, auch nicht, dass es hier so schön ist. Seenplatte, Spreewald, Elbsandsteingebirge, die Natur ist ein wahres Schauspiel. Cottbus, Zittau, Görlitz, Bautzen, Dresden, alles charaktervolle und charmante Städte. Und Leipzig, Weimar, Jena und Erfurt liegen noch vor mir.

Und die Menschen in Osten? Sind genervt von den Themen, die wir „aus dem Westen“ im Gepäck haben. Nazis, leere Häuser, Arbeitslosigkeit, Mauer, Stasi. Na klar, gibt es und gab es alles. Gehört aber nicht nur zum Osten, sondern zu Deutschland. Und hier gibt es so viel mehr als das – ein paar Beispiele:

In der Lausitz leben 60.000 Sorben. Eine nationale Minderheit mit eigener Sprache, Kultur und Hymne.

Marmelade im Tee ist wirklich lecker. Genauso wie Soljanka und Borschtsch.

Wer Leidenschaft im Osten sucht: bei den Sachsen wird man fündig!

Mike Salomon, Choreograph und Kulturentwickler, ist mit einem Traktor durch die Lande gefahren und hat Zitate über Heimat auf die Straße geschrieben. Kulturbotschaften. Heute belebt er die Remise der Schwesternhäuser bei Bautzen neu und hat die schönste Bühne in der Lausitz!

Brandenburg hat genauso prächtige Seen wie Mecklenburg.

Görlitz schlägt eine Brücke nach Polen. Es ist erhebend, von einem Land in das andere zu lustwandeln.

Egal, was ich zusammengewürfeltes anhabe, ich fühle mich wohl. Hier zählt etwas anderes als die Klamotte.

Kurz, lieber Osten: ich könnte hier leben. Ich fühle mich hier zu Hause. Und es tut mir leid, dass ich das vorher nicht gedacht habe, ohne Dich überhaupt richtig zu kennen.

Und auch wenn die Ostdeutschen vermeintlich etwas zurückhaltender sind: das macht mir nichts. Sie sind es nicht aus Arroganz, sie wollen nur erst wissen, worauf sie sich da einlassen.

Ich bin froh, dass es nun seit einem Vierteljahrhundert keine Mauer mehr gibt. Unser Land wäre so viel ärmer ohne Dich, Osten.
Es wäre nicht unser Land.

 

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